Seltene Erde
So., 26. Mai
|Basel
„Seltene Erde“ mit Sophia Burgos, Sopran & Daniel Arkadij Gerzenberg, Klavier
Time and Location
26. Mai 2024, 17:00 – 18:30
Basel, Waldenburgerstrasse 34, 4052 Basel, Suiza
About the Concert
Leo Dick: Seltene Erde (UA, Kompositionsauftrag LIEDBasel), George Crumb: Apparition, Lieder von Wolf, de Falla, Schubert, Schumann, Poulenc, Guastavino sowie Improvisationen
Datum und OrtSonntag, 26. Mai 2024 17.00 Uhr Musik- und Kulturzentrum Don Bosco, Paul Sacher Saal
MitwirkendeSophia Burgos, Sopran Daniel Arkadij Gerzenberg, Klavier
BeschreibungGeorge Crumb (1929–2022) Apparition (1979) Elegiac Songs and Vocalises for Soprano and Amplified piano On Texts from Walt Whitman’s When Lilacs Last in the Dooryard Bloom’d
I. The Night in Silence under Many a Star Vocalise 1: Summer Sounds II. When Lilacs Last in the Dooryard Bloom’d III. Dark Mother Always Gliding Near Soft Feet Vocalise 2: Invocation IV. Approach Strong Deliveress! Vocalise 3: Death Carol (“Song of the Nightbird”) V. Come Lovely and Soothing Death VI. The Night in Silence under Many a Star
Improvisation auf ein Gedicht von Daniel Arkadij Gerzenberg
Hugo Wolf (1860–1903) Das verlassene Mägdlein (1888) (Eduard Mörike)
Manuel de Falla (1876–1946) „Asturiana” aus Siete canciones populares Españolas (1914)
Robert Schumann (1810–56) Herzeleid op. 107 Nr. 1 (1851/52) (Titus Ullrich)
Franz Schubert (1997–1828) Der Tod und das Mädchen D 531 (1817) (Matthias Claudius)
Francis Poulenc (1899–1963) Mon cadavre est doux comme un gant aus Fiançailles pour rire (1939) (Louise de Vilmorin)
Carlos Guastavino (1912–2000) La Rosa y el Sauce (Fernán Silva Valdés)
Improvisation auf ein Gedicht von Daniel Arkadij Gerzenberg
Leo Dick (*1976) Seltene Erde. Hauntologischer Liederzyklus für Gesang und Klavier (2024) Uraufführung, Kompositionsauftrag von LIEDBasel nach Ökopoesie von Albert Ehrismann, Levin Westermann, Nikolai Vogel, Walter Fabian Schmid und Gertrud Leutenegger
- Der Schwämmeler
- Über Nacht
- Grosse ungeordnete Aufzählung (Detail)
- Vielleicht
- Nächtliches Gespräch
Zum Liederzyklus Seltene Erde:
Ein „hauntologischer“ Liederzyklus?!
„Hauntologie“, eine philosophische Wortschöpfung aus „Haunting“ und „Ontologie“, könnte man mit „die Lehre vom Spuk“ übersetzen. Jacques Derrida versteht darunter die gespenstische Wiederkehr von Elementen aus der sozialen oder kulturellen Vergangenheit. In meinem Liederzyklus Seltene Erde werfe ich einen gleichsam hauntologischen Blick auf jene traditionelle Poesieform, die so vielen klassischen Kunstliedern zugrunde liegt: Der Geist der romantischen Naturlyrik wird in unseren Tagen von der sogenannten „Ökopoesie“ beschworen, und zwar unter den Vorzeichen des Industriezeitalters. Die Ökopoesie glaubt nicht mehr an das unentfremdete Naturerlebnis, sondern thematisiert vor allem den Preis, den die Menschheit für die Entfesselung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts zu entrichten hat.
Meine fünf Liedkompositionen beschreiben als Stationenfolge einen geschichtlichen Prozess. Der Zyklus beginnt mit einer Reminiszenz an Goethes berühmtes Poem „Ich ging im Walde so vor mich hin“. Ein Satiregedicht aus den 50er Jahren zitiert dessen erste Strophe und lässt im Folgenden Goethes Spaziergänger unversehens Atompilze auf dem Waldboden finden. Am Ende meiner Gedichtauswahl steht ein postapokalyptisches Gespräch zweier Ausserirdischer über den einstmals belebten, nun aber toten Planeten Erde. Die Lieder dazwischen thematisieren zeitbedingte Entfremdungserfahrungen zwischen Mensch und Mutter Erde von den 1970er Jahren bis heute.
Nicht nur der Sprachtext, sondern auch die Musik beschwört Geister der Vergangenheit. Sie rekurriert auf romantische Volks- und Kunstliedtypen (Wander- und Wiegenlied, Schauerballade, weltliche und geistliche Gesänge) und überformt die Modelle, lässt aber die Vorbilder immer durchschimmern. Es geht dabei nicht um die nostalgische Feier eines etablierten historischen Kanons, sondern um die Neu-Kontextualisierung von Vergessenem und Verdrängtem. Oft sind in alten Klängen Zukunftsentwürfe enthalten, die nie realisiert wurden, und Horrorvisionen, die nicht eingetreten sind. Das eine wie das andere wird von der Hauntologie an die Oberfläche gespült und neu zur Disposition gestellt. Und plötzlich erscheint die musikalische Vergangenheit nicht mehr als ein sicheres ästhetisches Terrain – es ist das Unverdaute, das Unheimliche, das in dieser Klang-Archäologie hervortritt.